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Junge Investor:innen kommunikativ erreichen

Investor Relations müssen radikal umdenken

Die Bundesrepublik, Land der Buch- und Bausparer:innen – das war einmal: Immer mehr Deutsche ergreift die Lust am Traden. Insbesondere Millenials und die Gen Z werden am Markt aktiv. Die Investor Relations (IR) müssen sich auf ihre neuen Zielgruppen einstellen. Social Media, Storytelling und Nachhaltigkeit sind die neuen Spielfelder. Wer in der Finanzmarkt-Kommunikation jetzt nicht radikal umdenkt, verpasst die Chance, sich bei den Digital Natives zu positionieren. Unternehmen wie Tesla und Apple ist das längst gelungen.

„Viele junge Aktionär:innen haben andere Werte als die ältere Generation. Bei ihnen spielt etwa Nachhaltigkeit eine größere Rolle. Auch der Persönlichkeitsfaktor ist enorm wichtig – Unternehmen sollten in den digitalen Medien weniger anonym auftreten.“

Margarethe Honisch, Finanz-Bloggerin

Die neue Aktienliebe

Vorbei scheint es mit der „German Angst“ am Aktienmarkt. Im Jahr 2020 engagierten sich 12,4 Millionen Deutsche an der Börse, berichtet das Deutsche Aktieninstitut. Ein Zuwachs von 28 Prozent zum Vorjahr. Vor allem Jüngere entdecken die Lust am Invest. Bei den unter 40-Jährigen betrug der Zuwachs satte 50 Prozent – eine Million Junior-Investor:innen eröffneten im Pandemiejahr ein Depot.

Die Gründe für den Boom sind klar: Sparbücher und Tagesgeldkonten werfen keine Zinsen ab, das Vertrauen in die gesetzliche Rente verpufft – alternativer Vermögensaufbau nimmt an Fahrt auf. Dabei ist auch das beliebte „Betongold“ kein Allheilmittel mehr, denn gerade für urbane Jungfamilien bleibt das Eigenheim dank astronomischer Preise vermehrt ein Traumschloss. Aktienhandel ist eine lukrative Alternative, die auch noch Spaß macht.

Mit dem Smartphone an die Börse

WhatsApp lesen, Instagram checken, und dann mal eben ein Trade: So genannte Neo-Broker wie Trade Republic, Justtrade oder Scalable Capital haben den Aktienhandel aufs Smartphone gebracht – einfach und extrem günstig. Für Millenials und die Gen Z ist es das richtige Produkt zum passenden Zeitpunkt, denn nicht allein das wachsende Interesse am Vermögensaufbau ist Trigger für den Run auf die Börse.

„Viele junge Menschen haben sich im Lockdown schlicht gelangweilt und sind über ihre digitalen Kanäle an die Neo-Broker gelangt“, sagt Investment-Experte Jens Rabe. Sie haben in der Pandemie den Spaß am Handeln per Swipe und Klick entdeckt. Dabei sieht Rabe auch Bezüge zum Gaming. Ein spannender Gedanke, denn Trading und Gaming vereint der Reiz an der Challenge, strategischem Denken, manchmal auch Risiko und schneller Reaktion.

„Jedes Unternehmen, das sich in den Social Media nicht um Investor Relations kümmert, wird einen großen Nachteil am Aktienmarkt haben. Denn Firmen, die neu an die Börse gehen, haben das offenbar schon verstanden und setzen es von Anfang an um.“

Jens Rabe, Finanzexperte und Influencer

Finanzthemen in den Social Media

Instagram, YouTube, TikTok und Twitch zählen sicher nicht zu den bewährten Domänen der Investor Relations. In den Social Media haben Finanz-Influencer wie Thomas Kehl, Jens Rabe, Natascha Wegelin und Kolja Barghoorn das Wort. Auch Podcasts und Blogs sind beliebt. Hier informieren sich die Jung-Investor:innen über Grundlagen, Trends, Tipps und Tricks rund ums Anlegen und Handeln.

Für die Investor Relations ist die andauernde Abstinenz von Social Media eine gigantische vertane Chance. Denn mit konventioneller Denke, klassischen Instrumenten und Kanälen wie Geschäftsberichten, Aktionärsversammlungen und gedruckten Fachmedien erreichen sie die wichtige und wachsende Gruppe der Junior Trader:innen nicht.

Starke digitale Marken im Vorteil

„In der jungen Generation gibt es einen Bias bei den Investitionen in Richtung Tech-Aktien mit ansprechenden digitalen Marken“, sagt Axel Hartmann, Kommunikationsleiter der Consorsbank. Unternehmen wie Tesla, Apple und Amazon, die ihr Narrativ gekonnt digital vermarkten, können hier punkten.

Allen voran hat es Tesla mit fast schon mythologischem Storytelling geschafft, seinen Börsenwert weit über die reale Wirtschaftskraft hinaus zu steigern. Ein Extremfall zwar, der die neue Interdependenz zwischen Investor Relations und Brand Communications jedoch exzellent verdeutlicht.

Radikales Umdenken

Was ist jetzt zu tun, um die jungen Zielgruppen mit Finanzmarkt-Botschaften zu erreichen? Ein denkbar falscher Ansatz wäre es, die üblichen IR-Inhalte wie Quartalszahlen und Ad‑hoc-Meldungen ab sofort auch schlichtweg über Social-Media-Kanäle auszuspielen. Vielmehr braucht es einen synoptischen Ansatz, mit dem die Messages für Investor:innen elegant und erzählerisch in die fortlaufende (digitale) Markenkommunikation des Unternehmens integriert werden können.

 

1. Silos sprengen

Die erste Voraussetzung und zugleich größte Hürde ist das Aufbrechen des Silodenkens zwischen Investor Relations und Corp Comm – der Crash of Cultures zweier traditionell strikt getrennter Funktionen mit unterschiedlichen Selbstverständnissen. Hier die Jurist:innen und Ökonom:innen, direkt angebunden an den Finanzvorstand, mit gewisser Entre-nous-Mentalität. Dort die Kommunikativ-Kreativen mit akademischer Vielfalt von Biolog:in bis Linguist:in und ihrem hart erkämpftem Top-Level-Status in der Organisation. Sorry – aber hier gibt es nur einen Weg: Die Investor Relations müssen ihr Heim in der Corporate Communication finden – unter demselben Dach und als agile Einheit mit unterschiedlich spezialisierten Kolleg:innen.

 

2. Miteinander arbeiten

Dabei geht es nicht um die anders geformte Bubble im Organigramm oder eine neu verlegte Telefonleitung im Berichtswesen. Es geht tiefer. Nämlich um organisationale Agilität und die Entwicklung einer inklusiven Arbeitskultur mit regelmäßigen Teammeetings und totaler interner Transparenz. Strategische Konzepte, Themen- und Content-Planungen, ob für Medienarbeit, Digital-, Social- oder eben Finanzmarkt-Kommunikation, müssen radikal aufeinander abgestimmt werden. Vielleicht ist die nächste Influencer-Kooperation dann eben nicht die mit dem zweihundertsten Lifestyle-Sternchen, sondern die mit den gleichsam reichweitenstarken Tippgeber:innen für solide Investments.

 

3. Voneinander lernen

Unterschiedliche Hintergründe und Expertisen im Team können bereichernd sein. Dies geschieht aber nicht automatisch, sondern erfordert klare Wissensmanagement-Prozesse. Eines von vielen möglichen Vehikeln sind regelmäßige Seminare, die von internen Wissensträger:innen gestaltet und moderiert werden. So kann das Social-Team Wirtschaftliches und Börsentechnisches direkt von den „neuen“ Kolleg:innen lernen und für das eigene Mindset adaptieren. Vice versa lernen die Finanzkommunikator:innen die Funktionsweise digitaler Markenführung, die Dynamik von Social Media und die Psychogramme ihrer neuen Zielgruppen kennen.

Schwerpunktthema Nachhaltigkeit

Ein gemeinsamer thematischer Hebel, um Junior Trader:innen als Investor:innen zu gewinnen, ist sicher die unternehmerische Nachhaltigkeit. Für die Genrationen Y und Z ist die soziale und ökologische Verantwortung des Unternehmens, in das sie investieren, eines der zentralen Entscheidungskriterien. Sie wollen sich auch in Sachen Finanzen und Vermögensaufbau moralisch wohl und sicher fühlen.

Unter dem Label ESG (Environmental, Social & Governance) sind entsprechende Themen zwar in der Finanzmarkt-Kommunikation angekommen. Doch auch hier gehen die üblichen Formate wie Nachhaltigkeitsberichte an der jungen Zielgruppe vorbei. Für sie sind Social Media und Influencer Relations zentrale Instrumente – weshalb die zuständigen Social-Spezialist:innen Nachhaltigkeitsthemen stets auch unter dem Aspekt der Investor:innen-Kommunikation verstehen und gestalten sollten.

Junge Frauen für Investments begeistern

Ein zweiter Hebel und zudem eine spannende (Noch-)Nische ist die gezielte Ansprache junger Frauen mit Finanzthemen – Pionierinnen sind in diesem Areal erfolgreiche Influencerinnen wie Natascha Wegelin und Margarethe Honisch. „Leider haben Frauen oft ein zu geringes finanzielles Selbstbewusstsein. Dadurch haben sie einen hohen Wissensanspruch. Sie wollen Themen in der Tiefe verstehen und sind dadurch langfristig nicht selten erfolgreicher als Männer“, sagt Margarethe Honisch, Betreiberin des Blogs Fortunalista. Entsprechend groß sei der Bedarf an hochwertigen Informationen.

Auch Banken erkennen mehr und mehr die Relevanz der weiblichen Zielgruppe. So unterhält die Comdirect mit Finanz-Heldinnen ein umfassendes Finanzportal speziell für junge Investorinnen. Noch ist der Frauenanteil an den Aktionär:innen deutlich geringer als der Anteil an Männern (4,5 zu 7,9 Millionen). Er ist jedoch in den vergangenen fünf Jahre um deutliche 35 Prozent gewachsen.

Für die Investor Relations, bis heute eine Domäne mittelalter Herren, mag die Finanzkommunikation mit straighten jungen Frauen mitunter eine Herausforderung sein. Aber keine Sorge: Die Kolleg:innen aus dem Digital-Team helfen sicher gerne – wenn man nur nett fragt.

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