Alexander Güttler: Change bei Banken und Versicherungen scheint schwer zu sein und viele Change-Vorhaben versanden, bleiben erfolglos oder scheitern gar. Frank, Du sagst immer wieder, Finanzdienstleister würden sich in einem „Change-Winterschlaf“ befinden. Ist das nicht ein wenig übertrieben?
Frank Weber: Natürlich übertreibt und polarisiert die Aussage. Aber manchmal muss man den Finger in die Wunde legen, um zu spüren, dass Handlungsbedarf besteht. Interessanterweise wissen nahezu alle in der Branche, dass sich der Markt im Umbruch befindet. Wobei das noch stark untertrieben ist. Meines Erachtens ist es eher eine Zeitenwende. Die niedrigen Zinsen schmälern die Erträge, die Kundenloyalität nimmt kontinuierlich ab und die steigenden Verwaltungskosten bereiten immer mehr Probleme. Neue, zum Teil branchenfremde Wettbewerber tauchen auf und mischen im Geschäft kräftig mit. Die Digitalisierung schwebt wie ein Damoklesschwert über allem und allen.
Alexander Güttler: Wie reagiert man darauf? Kostensparen, klar. Aber das ist endlich und kann nicht die einzige Lösung sein.
Frank Weber: Da stimme ich Dir zu. Zumal das Messer der Kostensenkungen aufgrund von vielen Programmen in der Vergangenheit inzwischen vielfach auch stumpf geworden ist. Eine grundhafte Überarbeitung des Geschäftsmodells ist sicherlich eine Alternative. Auch Fusionen können ein Weg sein. Aber, egal was man tut, es wird immer in einem Change münden: Kosteneinsparungen müssen ein verändertes Verhalten zur Folge haben. So auch die Überarbeitung des Geschäftsmodells. Hier ändern sich für die Mitarbeitenden viele Stellen- und Aufgabenprofile. Bei Fusionen stoßen zwei verschiedene Kulturen mit unterschiedlichen Mitarbeiter:innen aufeinander. Das alles sind umfangreiche Change-Prozesse, auf die Institute sehr häufig nicht eingestellt sind.
Alexander Güttler: Woran liegt diese mangelnde Erfolgsrate bei Veränderungen in der Finanzbranche?
Frank Weber: Das hat viele Gründe. Ich würde es auf fünf verdichten: Der erste Grund ist ein negatives organisationales Change-Gedächtnis. In der Vergangenheit haben Finanzdienstleister viele Veränderungen angestoßen. Diese scheiterten oder wurden nicht wie geplant zu Ende geführt. Das alles führt zu einer Haltung, die von „abwartend“ über „Gleichgültigkeit“ bis hin zu „Change mich am Arsch“ – frei nach Axel Koch – geht. Leidenschaft für Change sieht anders aus! Der zweite Grund ist die Kultur in vielen Organisationen der Finanzbranche. Hier herrscht Hierarchie statt Adhocratie.
Alexander Güttler: Bevor wir zu den weiteren drei Gründen kommen: Was bedeutet Adhocratie?
Frank Weber: Das ist ein wichtiger Punkt. Im Kern beschreibt Adhocratie eine Kultur des Unternehmertums und damit das Gegenteil von hierarchisch strukturierter Bürokratie. Bei letzterer ist die vorherrschende Logik zur Erreichung von Erfolg, dass Kontrolle die Effizienz fördert, in dem sie Verschwendungen und Redundanzen eliminiert. Das mag für eine Behörde gelten, hier will man keine Flexibilität, sondern eine fehlerfreie Effizienz in der Ausübung von Prozessen. Bei der Adhocratie-Kultur hingegen beruht die vorherrschende Logik darauf, dass neue Ideen und Möglichkeiten neue Kunden und Märkte schaffen und damit Innovationen entstehen. Dort arbeiten dann Führungskräfte, die mehr an visionäre Leader und Entrepreneure denn an Kontrolleure erinnern.
Zugegeben, das klingt für viele Mitarbeiter:innen aus Banken und Versicherungen wie ein Ausflug in eine andere Welt. Aber genau das wird es sein. Mit hierarchisch strukturierter Bürokratie wird man in einer Welt, die sich durch zunehmende Volatilität, Unsicherheit sowie Komplexität auszeichnet und in der zugleich immer kürzere Innovationszyklen zu raschen Entscheidungen zwingen, perspektivisch nicht mehr erfolgreich sein können.
Alexander Güttler: Mit anderen Worten, bei Banken und Versicherungen wird ein massiver Kulturwandel nötig sein. Doch zurück zu den Gründen für gescheiterte Change-Projekte. Wenn wir richtig gezählt haben, fehlen noch drei?
Frank Weber: Genau. Der nächste hängt mit der internen Kommunikation zusammen. Hier liegt ein Kernproblem darin, dass diese immer noch eher informiert, statt zum echten Dialog einzuladen. Dadurch geht die Einbindung der Mitarbeiter:innen verloren, was für einen erfolgreichen Change tödlich ist. Ebenfalls tödlich kann das Verhalten der Führungskräfte sein. Viele von ihnen – vor allem in den größeren Konzernen – haben eine Führungsposition, weil sie gute Fachexperten sind. Sie haben aber Leadership nie gelernt und das wurde auch nie erwartet. Daher fehlt ihnen Kompetenz und Erfahrung, Mitarbeiter:innen durch einen Change zu führen. Es geht eben nicht um Management, es geht um Leadership. Der letzte Grund ist der Charakter – oder anders formuliert – das Branding von Change.
Alexander Güttler: Branding von Change? Was meinst Du damit?
Frank Weber: Change-Vorhaben werden in der Regel als Projekte betrachtet. Sie gelten als zeitlich limitiert und an Tag X ist dann alles fertig. Häufig auch noch negativ konnotiert, frei nach dem Motto „da müssen wir eben durch“. Das hat dann den Anschein einer Schlechtwetterfront. Abwarten, drinnen bleiben und bald scheint wieder die Sonne. Das entspricht aber nicht der Realität. Change ist ein nicht endender dynamischer Prozess. Veränderungen sind kein Projekt, das für ein paar Monate durchgeführt und danach abgeschlossen wird. Noch präziser formuliert: Change ist eine Reihe von zum Teil miteinander verwobenen und sich teilweise auch widersprechenden Prozessen, die sich stets weiterentwickeln.
Alexander Güttler: Weiterentwickeln ist ein gutes Stichwort, das gilt nicht nur für die Organisationen, sondern auch für die Mitarbeiter:innen.
Frank Weber: So ist es. Für einen umfänglichen Change müssen alle raus aus der Komfortzone und hinein in die Zone der Weiterentwicklung und des Lernens.
Alexander Güttler: Das Problem ist aber doch häufig: Die Komfortzone verlässt niemand so gern.
Frank Weber: Ja, weil damit ein falsches Verständnis verbunden ist. Viele Mitarbeiter:innen denken, dass gleich hinter der Komfortzone so eine Art von Panikzone beginnt. Ein Ort, den es zu vermeiden gilt, weil er durch Angst, Panik, Unbehagen oder Stress sowie Ohnmachtsgefühl gekennzeichnet ist. Doch eigentlich liegt hinter der Komfortzone die Wachstums- oder auch Entwicklungszone. Die Heimat von Begeisterung, neuen Erfahrungen und Erfolg – aber auch von Abenteuern und Unsicherheit sowie Spannungen. Scheinbar muss es diese Branche wieder lernen, wirklich erfolgreich sein zu wollen und den Job zu lieben.
Das ist wie bei Sportler:innen. Neue Rekorde lassen sich nicht in der Komfortzone erreichen. Dafür braucht es einen Schritt weiter. Aber begleitet von Trainer:innen, die dafür Sorge tragen, dass man es nicht übertreibt. Im Unternehmen heißen diese Personen Führungskräfte. Diese Personengruppe begleitet dann auf dem Weg zu Weiterentwicklung und Fortschritt.